Diese Reise beginnt in New York und sie endet auch dort und dazwischen liegen viele Welten. Sie führt durch den Rust Belt nach Detroit. Von dort weiter nach Boulder, Colorado, über Austin, Texas, nach Hartford, Connecticut. Es ist eine Reise zwischen zwei Zeitaltern: zwischen Stahl- und Start-up-Industrie.

Als der Flieger die Wolkendecke durchbricht, liegen die rostigen Industriegebiete vor der verlockenden New Yorker Skyline.


In der Hotelbar spielen wir Billard mit Troy aus Georgia, den die Suche nach Arbeit in den Norden verschlagen hat. Warum er dafür ausgerechnet nach Reading gekommen ist? So genau verstehen wir ihn und seinen Südstaaten-Slang nicht. Und so verlegen wir uns aufs Whiskeytrinken.

Früher mal die Brezel-Hauptstadt der Welt, ist Reading heute in der Statistik ganz unten immer ganz vorn. Mehr als ein Drittel der Bewohner lebt in Armut.

Durch verschlafene Ortschaften und die ereignislose Agrarlandschaft Pennsylvanias geht es weiter nach Harrisburg. Häuser, Straßen, Stromversorgung – nichts ist für die Ewigkeit konstruiert und nichts wird erneuert. Zu unwichtig, zu vorgestrig. Die Zukunft liegt woanders.

1979 fand in Harrisburg die erste Kernschmelze in einem Atomkraftwerk statt. Das machte den Ort weltbekannt. 2011 erklärte sich die Stadt für zahlungsunfähig. Das Kernkraftwerk Three Mile Island ist weiterhin in Betrieb.

Die immer gleiche Burgerketteneintönigkeit entlang amerikanischer Provinzstraßen. Meilenweit Langeweile.

Wir streifen Pittsburgh, einst wichtigster Standort der US-Stahlindustrie. Die Stadt hat den wirtschaftlichen Niedergang vergleichsweise gut abgefedert und gilt heute als Musterbeispiel für gelungenen Strukturwandel. Aber am Stadtrand sieht auch Pittsburgh traurig aus.

Am Abend erreichen wir Youngstown, ebenfalls eine der bedeutenden Stahlstädte der USA, deren Niedergang von Bruce Springsteen bereits 1995 besungen wurde. Die Stadt verfällt weiter in einem der vielen toten Winkel dieses Landes, in dem nichts von der hohen Schlagzahl der Innovationskultur zu spüren ist.


Efraim macht sich in einem Restaurant über uns lustig, weil wir „Kaninchenfutter“, also Salat, essen. Als Europäer entlarvt, werden wir mit einer Trump-Entschuldigungsorgie bedacht. Es wird nicht die letzte bleiben.



Die Goodyear Tire & Rubber Company ist benannt nach Charles Goodyear, der 1839 per Zufall die Vulkanisation von Kautschuk entdeckte und zum ersten Mal Gummi herstellte. Goodyear wurde 1898 in Akron gegründet, ihr folgten Goodrich und Firestone und so wurde die Stadt zum Zentrum der Gummi- und Reifenindustrie.


Leer sind die Fabriken und die Köpfe der Menschen benebelt: Die USA erleben eine beispiellose Opiat-Epidemie. Es sterben mehr Menschen an Heroin als im Straßenverkehr. Und den Rust Belt trifft diese Welle besonders hart.



Zeitgleich mit der Autoindustrie ging es auch mit der Reifenstadt Akron bergab, allerdings hat es die Stadt geschafft, dem Niedergang mit Investitionen in Forschungs- und Bildungseinrichtungen neue Impulse entgegenzusetzen. Akron gibt sich aufgeräumt, ist aber wenig aufregend. Wir fahren weiter: Detroit will am Abend erreicht sein.



Vorbei am Eriesee und nach Detroit hinein, dem Zentrum der amerikanischen Automobilindustrie. Mit deren Niedergang haben seit den 1970er Jahren fast zwei Drittel der ehemals zwei Millionen Einwohner die Motor City verlassen.

Wir fahren nach Downtown und in die umliegenden Viertel und sind sprachlos über das Ausmaß der Verwahrlosung. Die riesigen Industriekomplexe sind gezeichnet vom jahrzehntelangen Leerstand, ganze Stadtviertel verfallen und nur vereinzelt sehen wir Menschen auf den Straßen.




Im Hintergrund ist die Michigan Central Station zu sehen; einst höchstes Bahnhofsgebäude der Welt, steht sie heute leer – und unter Denkmalschutz.





Blick aus dem Fisher Building, einer Art-Deco-Ikone, auf den Cadillac Place, ehemaliger Sitz von General Motors.

Wir fahren einfach mal in die oberste Etage des Fisher Building und finden dort: verlassene Büros. Mit bester Aussicht auf Downtown Detroit.

Auch der Verfall von Detroit wurde besungen und ist in morbiden Fotografien weltberühmt geworden. Doch erlebt Downtown Detroit seit einigen Jahren auch wieder eine zarte Blüte. Wir treffen dort auf zwei Firmen, die mit innovativen Ideen an alte Traditionen der Stadt anknüpfen.

Detroit Labs ist ein Softwareentwickler und, wenn man so will, auch ein moderner Zulieferer der Automobilindustrie. Die Firma existiert seit fünf Jahren. Die inzwischen gut 100 Mitarbeiter schreiben Programme unter anderem für Automobilkonzerne weltweit.

Bill kam vor drei Jahren aus San Francisco nach Detroit, um für Detroit Labs zu arbeiten. Er sagt, es gebe einerseits die Industrie und andererseits die Stadt Detroit. Die Industrie sei immer noch da, wenn auch in kleinerem Umfang. Detroit selbst habe offensichtlich einen langen Niedergang hinter sich, die Stadt erhole sich aber gerade. Allerdings betreffe das nicht die Jobs für Fabrikarbeiter. Die Herstellungsverfahren seien so ausgefeilt und technisiert, dass man, um ein Auto zu bauen, viel weniger Arbeiter braucht als früher. Es würden Jobs zurückkommen, aber eben ganz andere.


Josh und Bill führen uns durch die Büros und erzählen von Detroit und der Automobilindustrie – und davon, wie Detroit Labs schließlich in dieses Gebäude in Downtown zog, das vorher 30 Jahre lang leer stand.



Das Theater im Michigan Building wurde nach nur einem halben Jahrhundert Betrieb geschlossen und ein Jahr später, 1977, in ein Parkhaus umgewandelt. Der Stuck über den eingezogenen Betondecken erzählt von den glamourösen Zeiten, als hier noch Tausende in das Lichtspieltheater strömten. Heute steht das Gebäude symbolisch für den Niedergang Detroits.


Cadillac Place war der Firmensitz von General Motors, bis die Konzernzentrale in einen Neubau am Detroit River zog. Heute ist das Gebäude Verwaltungssitz der Landesregierung und benannt nach einem der Gründer Detroits, Sieur de Cadillac.



Die Menschen hinter der Fahrradmanufaktur Detroit Bikes produzieren hochwertige „City Bikes“. Damit greifen sie nicht nur einen Wirtschaftszweig auf, der bereits vor der Automobilindustrie hier angesiedelt war, sondern geben auch einigen von denen wieder Arbeit, die einst bei General Motors und Co. am Fertigungsband standen.

Zak Pashak, Chef von Detroit Bikes, kam aus Kanada nach Detroit, um hier etwas aufzubauen. Zak sagt, dass es von Detroit eine Menge zu lernen gebe.







Vielleicht ist es Detroits Platz in der Musikgeschichte; vielleicht ist aber auch die Anziehungskraft der städtischen Industrieruinen, die von der einstigen kulturellen Blütezeit erzählen, so hoch, dass sich gerade hier wieder kreativwirtschaftliche Projekte ansiedeln. Über dem Rest des Rust Belt hängen weiterhin dunkle Wolken – Stillstand in Sachen Infrastruktur, Bildung und Zukunft.
Unser nächstes Ziel ist Boulder, Colorado, ein kleines Städtchen am Fuße der Rocky Mountains.
Tobias Kruse — in Amerika
Tobias Kruse war im April mit der Kamera in den USA unterwegs: mit dem Auto von New York durch den Rust Belt nach Detroit (Teil 1). Von dort ist er nach Boulder, Colorado, geflogen (Teil 2). Und danach weiter nach Austin, Texas (Teil 3), bevor es wieder zurück an die Ostküste ging (Teil 4). Jene Staaten, die zwischen Ost- und Westküste liegen, nannte man lange „Flyover Country“, aber zumindest Colorado und Texas haben den Wettbewerb mit Kalifornien aufgenommen. Seine Eindrücke hat Tobias Kruse für uns mit aufgeschrieben.
Tobias Kruse ist seit 2011 Mitglied der Agentur OSTKREUZ und lebt und arbeitet in Berlin.