Krasser Szenenwechsel im Vergleich zu Detroit: In Boulder, Colorado, sehen die Menschen den Rocky Mountains und einer sonnigen Zukunft entgegen. Die Stimmung ist nicht nur durch das milde Klima viel gelöster. Boulder, keine Stunde nordwestlich von Denver gelegen, pflegt sein liberales Image und ist wegen seiner Lage und der angesehenen staatlichen University of Colorado beliebt bei Studenten, Kreativen und jungen Gründern.


Boulder war schon seit über hundert Jahren ein Rückzugsort für Künstler und Intellektuelle gewesen, bevor in den Sechzigern die Hippies kamen.

Den Grundstein für die Ansiedlung der Kreativwirtschaft legte mutmaßlich die legendäre Werbeagentur Crispin Porter + Bogusky, die noch heute ihr Hauptquartier in Boulder hat.

Wir besuchen Sphero, einen Hersteller von kleinen Robotern, mit deren Hilfe Kinder spielerisch Programmieren lernen. In der Firma arbeiten über hundert Leute an den intelligenten Kugeln, die mit Vernetzung und stetig fortentwickelten Apps als Unterhaltungs- und Lernhybride nicht nur die Klassenzimmer weltweit erobern sollen.

Danielle und Jan präsentieren uns die kleinen Roboter und führen uns in dem Sphero-Bienenstock herum.



Irgendwann, als das Silicon Valley teuer wurde und die Menschen anfingen, über Alternativen nachzudenken, rückte das 100.000-Einwohner-Städtchen schnell in den Fokus. Inzwischen haben Google, Facebook und Twitter hier große Niederlassungen und die Immobilienpreise steigen rapide.

Pearl Street, die Flanier- und Konsummeile von Boulder. Wir sehen junge Menschen, die viel arbeiten, Sport treiben und Tee trinken. Kaffee ist verpönt oder wird zumindest nur in Maßen getrunken. Die Leute fahren Fahrrad oder Volvo oder sie gehen zu Fuß. Das Rauchen von Tabak ist auf den Straßen der Innenstadt verboten, von Marihuana hingegen völlig legal.


Das Designbüro Berger & Föhr ist momentan auf Standby, weil die beiden Gründer, Todd Berger und Lucian Föhr, aus der Not heraus die Idee zu einem Kreativnetzwerk namens Ello hatten, das im Moment ihre ganze Energie beansprucht. Ello beschäftigt inzwischen zwei Dutzend Leute in einem Büro in Denver, die beiden wohnen aber weiterhin in Boulder und haben auch ihr Büro dort behalten.

Deutsche Designikone in Colorado: Das Regalsystem 606 von Dieter Rams hat weltweit seine Anhänger unter Kreativen.



Todd Berger ist der Einzige auf unserer Reise, den wir noch handschriftliche Notizen machen sehen. Und genauso, wie nicht mehr auf Papier geschrieben wird, ist auch der ein Buch oder eine Zeitung lesende Mensch fast komplett aus der amerikanischen Öffentlichkeit verschwunden.




Loveland ist ein kleines Städtchen in der Nähe von Boulder. Hier sitzt Aleph Objects, ein Hersteller von Open-Source-3-D-Druckern. Hard- und Software der Drucker können vom Nutzer beliebig verändert und so den eigenen Bedürfnissen angepasst werden. Dieser Freiheitsgedanke war der Gründungsimpuls der Firma.

Im Inneren des mitten in der Prärie stehenden weißen Kastens findet sich ein buntes Sammelsurium aus verrückten Kunststofferzeugnissen.

Die kreativen Menschen, die sich das alles ausdenken, stecken in vor Technik nur so strotzenden Bastelumgebungen.








Während also die „Nerds“ von Aleph Objects an den Maschinen tüfteln, die in Zukunft Dinge schaffen werden, die wir uns derzeit kaum vorstellen können, geht nebenan das normale Leben seinen gewohnten Gang. Spritfressende Automotoren, Farmen wie aus einem 70er-Jahre-Film und die weite Natur. Wir fragen uns, wie das alles zusammengeht, und treten die letzte Etappe unserer Reise in Richtung Süden an.
Tobias Kruse — in Amerika
Tobias Kruse war im April mit der Kamera in den USA unterwegs: mit dem Auto von New York durch den Rust Belt nach Detroit (Teil 1). Von dort ist er nach Boulder, Colorado, geflogen (Teil 2). Und danach weiter nach Austin, Texas (Teil 3), bevor es wieder zurück an die Ostküste ging (Teil 4). Jene Staaten, die zwischen Ost- und Westküste liegen, nannte man lange „Flyover Country“, aber zumindest Colorado und Texas haben den Wettbewerb mit Kalifornien aufgenommen. Seine Eindrücke hat Tobias Kruse für uns mit aufgeschrieben.
Tobias Kruse ist seit 2011 Mitglied der Agentur OSTKREUZ und lebt und arbeitet in Berlin.