Verlässt man den Austin-Bergstrom International Airport, überfällt einen gleich diese krasse Südstaatenhitze und das irre Geschrei der Grackles, kleiner schwarzer Vögel, die überall in Austin zu sehen und zu hören sind. Sie liefern den Soundteppich dieser Stadt, die sich selbst halboffiziell als „weird“ bezeichnet und als „Live-Musik-Hauptstadt der Welt“.


Und so findet hier ziemlich viel draußen statt: Neben der Musik gibt es überall in der Stadt kleine Streetfood-Läden.

„Keep Austin Weird“ – einst Lebensmotto der Stadt, klammert sich die alternative Szene heute fast schon ein wenig ängstlich an dieses Hippie-Mantra.

Das „Big Business“ ist längst angekommen in der Stadt und lässt auch hier die Preise steigen.

Aber noch gibt es sie an jeder Ecke: Live-Musik-Bars, in denen Menschen fröhlich feiern und sich in den Armen liegen.

Auf der Congress Avenue Bridge, kurz vor dem allabendlichen Stelldichein.

Downtown am Lady Bird Lake, der zwar See heißt, aber eigentlich nur der Colorado River ist.

Wenn es dunkel wird, versammeln sich auf dem Lady Bird Lake und auf und neben der Congress Avenue Bridge viele hundert Menschen.

In Erwartung eines sonderbaren Naturschauspiels.

Keiner weiß genau, wann die erste Mexikanische Bulldoggfledermaus festgestellt hat, dass es sich unter der Congress Avenue Bridge in Austin herrlich leben lässt. Die Bedingungen scheinen perfekt zu sein, denn inzwischen wird die Zahl der dort lebenden Tiere auf bis zu zwei Millionen geschätzt. Das reicht für die weltweit größte städtische Fledermauspopulation.

Was für ein Spektakel: Allabendlich versammeln sich auf und unter der Brücke ein paar hundert Menschen, um die paar hunderttausend Fledermäuse zu beobachten, die pünktlich zum Sonnenuntergang ausfliegen. Die Austin Bats sind inzwischen zu einem wichtigen Tourismusfaktor geworden.

Auch Nachtschwärmer aller Art fühlen sich in Austins liberalem Klima wohl: auf einer Gay-Party im Club Cheer Up Charlies.




Selbst die Grackles, auf Deutsch Dohlengrackeln, singen den ganzen Tag sehr laut und „weird“.

Sam ist in Austin aufgewachsen und studiert hier Journalismus. Er bedauert die fortschreitende Gentrifizierung, in deren Folge die alteingesessenen Familien das stadtnahe East Austin verlassen müssen, weil sich dort jetzt wohlhabende Weiße ansiedeln.


Citrine studiert internationale Beziehungen an der University of Texas. Sie entstammt einer syrisch-palästinensischen Familie, die in Texas lebt. Ihre Familie handelt mit Schokolade und einige ihrer Verwandten haben wegen Donald Trumps Visapolitik aktuell Probleme, in die USA einzureisen. Citrine engagiert sich in der Syrian People Solidarity Group, die sich für syrische Flüchtlinge einsetzt, die wiederum der texanische Gouverneur Greg Abbott am liebsten nicht ins Land lassen würde. Ihr Engagement hat ihr die Aufmerksamkeit der rechten Nachrichtenseite Breitbart News eingebracht.

Das Festival South by Southwest, früher Musik-, heute eher Medienveranstaltung mit Konferenzen und Vorträgen, strahlt international aus und zieht jedes Jahr im März viele tausend Besucher an. Das liberale Klima, die Kultur und die hervorragende staatliche University of Texas machen Austin zu einer grünen Insel in diesem nicht gerade alternativen Bundesstaat. Die Tatsache, dass man in Texas keine Einkommensteuer zahlt, hat sicher auch zu Austins neuem Beinamen „Silicon Hills“ beigetragen.

Austin ist die am schnellsten wachsende Stadt der USA – und gleichzeitig die einzige, deren farbige Bevölkerung abnimmt, weil sie aus den innenstadtnahen Vierteln wegziehen muss.

Kate arbeitet in Austin für das Start-up OwnLocal. Sie ist vor kurzem aus dem Silicon Valley hergezogen – aus Kostengründen und weil Austin ihr eine ähnliche Start-up-Kultur bietet wie das Valley.

Alex kam vor ein paar Jahren aus Mexiko nach Austin. Er bekam die Staatsbürgerschaft, bevor Donald Trump gewählt wurde. So kann er sich voller Inbrunst über ihn auslassen – ohne Angst haben zu müssen, zurückgeschickt zu werden.

Leslie war Produktmanagerin in einem Unternehmen, bevor sie Austlen Baby Co. gründete, einen Hersteller von Kinderwagen.

Leslie und Clara mit einem ihrer Kinderwagen, die so unglaublich anpassungsfähig sind, dass man entweder ein Kind oder aber zwei Kinder plus den gesamten Wochenendeinkauf damit transportieren kann – ohne dass der Wagen umkippt oder in die Knie geht.

Tadesse kam vor einigen Jahren als Asylsuchender aus Äthiopien und arbeitet unter anderem als Fahrer. Er hat die Hoffnung, dass Trumps restriktive Einwanderungspolitik wenigstens die Folge hat, dass mehr intelligente Menschen in ihren Heimatländern bleiben und dort helfen, demokratischere Verhältnisse aufzubauen.


Sunday ist der Chef von Golden Frog und Giganews in Austin. Seine Eltern, die Internetpioniere Carolyn und Ron Yokubaitis, gründeten 1994 texas.net, eine der ersten fünfzig Webadressen der USA. Das Hauptprodukt der Firma Golden Frog ist VyprVPN – eine personalisierte VPN für sicheres und anonymes Surfen im Internet weltweit. Damit ermöglicht VyprVPN einen Zugang zum Internet in Ländern wie China oder Iran, in denen es normalerweise nicht möglich ist, frei zu surfen. Die Firmengründung war eine Folge der Entdeckung von Room 641A in San Francisco, wo die NSA die Netzwerke des Telefonriesen AT&T überwachte. Seither hat Golden Frog seinen offiziellen Firmensitz – und mit ihm die Server mit den Kundendaten – in der Schweiz.

Bei Golden Frog arbeiten Angestellte gerade an Outfox, einem optimierten Gaming-Netzwerk, das weltweit Internetverbindungen für PC-Spieler schneller und stabiler macht.

Ausblick vom Golden-Frog-Büro auf Downtown Austin

Die University of Texas ist eine der größten und beliebtesten öffentlichen Hochschulen der USA – hier sind 50.000 Studierende eingeschrieben. Der Campus ist riesig und verteilt sich über weite Teile der Innenstadt.

Dean ist eigentlich Fotograf – und außerdem Hobbypilot. Beim Fliegen hatte er die Idee für spezielle Pilotenbrillen, deren Bügel nicht stören, wenn man zum Funken Kopfhörer tragen muss. Typisch amerikanisch: Er gründete daraufhin einfach die Firma Flying Eyes Sunglasses.


Shelley gründete vor einigen Jahren Orange Coworking, denn sie war es leid, ständig aus Cafés rausgeworfen zu werden, weil sie nicht genügend Getränke bestellt hat.

In Austin prallen gegenwärtig Welten aufeinander: Die hippe Südstaatenmetropole muss die ganzen Businessmenschen aufnehmen, während viele Alteingesessene die Stadt verlassen. Und die verändert sich natürlich rapide.
Tobias Kruse — in Amerika
Tobias Kruse war im April mit der Kamera in den USA unterwegs: mit dem Auto von New York durch den Rust Belt nach Detroit (Teil 1). Von dort ist er nach Boulder, Colorado, geflogen (Teil 2). Und danach weiter nach Austin, Texas (Teil 3), bevor es wieder zurück an die Ostküste ging (Teil 4). Jene Staaten, die zwischen Ost- und Westküste liegen, nannte man lange „Flyover Country“, aber zumindest Colorado und Texas haben den Wettbewerb mit Kalifornien aufgenommen. Seine Eindrücke hat Tobias Kruse für uns mit aufgeschrieben.
Tobias Kruse ist seit 2011 Mitglied der Agentur OSTKREUZ und lebt und arbeitet in Berlin.